Ein Tag in San Gerónimo

Corona-Update
San Jerónimo, Colombia 
Wochenende 29./30. August 2020
Wolfgang Chr. Goede, Text & Foto

 

Unser Dschungel-Camp 2.0 –
oder von der hohen Kunst des Improvisierens

Ein Bericht über unseren Tagesablauf während der Quarantäne im ländlichen Kolumbien. Wer nicht improvisiert, geht unter: Eine harte Lektion für uns Deutsche. Der Bericht stammt vom 20. August. Am letzten Augustfreitag fuhr ich erneut ins Pueblo hinunter, um für die DKF-Fassung des Berichts Fotos zu schießen. Unten streikte meine Kamera – typisch, Murphys Law, die unbequeme Anreise für nix? Aber ich habe gelernt, mich mit den Umständen zu arrangieren. Ich benutzte meine Handy-Kamera, die allerdings nur für Selfies funktioniert, mehr schlecht als recht, und die ich noch nie eingesetzt hatte. Ich wurschtelte mich durch und finden Sie nicht auch: dass die improvisierte Fotoqualität zum Inhalt passt? Noch etwas anderes hat mich beeindruckt. Acht Tage nach meinem letzten Besuch fand ich jetzt ein ganz anderes Dorf vor. Nächste Woche, am 1. September will Kolumbien sich wieder öffnen. Es herrschte bienenemsiges Treiben – Euphorie lag in der Luft. Endlich! Nach über fünf Monaten strengem Lockdown wieder ein bisschen Freiheit – mit allen Risiken und Nebenwirkungen. Was soll’s! So fühlt man sich, wenn man einem Gefängnis den Rücken kehren darf.

Ich habe schlecht geträumt. Dass ich mit einem Skorpion, fest umschlungen, geschlafen hätte. Luz hatte am Abend in der Finca-Wohnung eines dieser Giftstacheltierchen gesichtet. Glücklicherweise ein ungefährliches schwarzes. Zusätzlich zur Kröte. An die haben wir uns gewöhnt. Auch dass sie im Wohnzimmer immer so einen penetrant stechenden Geruch hinterlässt.

Eigentlich will ich um sechs Uhr früh auf den Beinen sein. Heute ist Einkaufstag. Mein kolumbianischer Ausweis endet mit einer geraden Zahl. Damit habe ich überallhin Zutritt.Juchhe!

Nur … es regnet, eine äquatoriale Sintflut. 20 nasse Minuten bis zum Haltepunkt des Pickups gehen? Der um sieben über den schlagloch-übersäten Feldweg ins Dorf hinunterrumpelt.

Ich wickele mich fest in meine drei Decken und schließe wieder die Augen. Es ist kalt und feucht.

Corona hat unser Leben komplett auf den Kopf gestellt. Eigentlich hätten wir zwei Fahrzeuge, einen Nissan Jeep Baujahr 1984 und einen TucTuc. Bei beiden ist der TÜV abgelaufen. Er lässt sich nicht erneuern, weil die Gemeinden sich gegeneinander abschotten.

Da hilft kein Jammern, auch kein Beten: Wir müssen uns durch alle Widrigkeiten improvisieren hier im Outback! Darin sind die Hiesigen Meister, Deutsche Lehrlinge.

Dann reißt auch noch das Internet ab. Opfer der Regenfälle. Luz unterrichtet gerade Englisch aus dem Finca Home Office und steht buchstäblich im Regen. Das mehrfach in der letzten Zeit. Überlebenswichtig: Ohne Internet kann sie ihren Job an den Nagel hängen.

Dafür hat der Regen draußen aufgehört. Für zehn Uhr bestelle ich ein Motorradtaxi und fahre als Sozius ins Dorf hinunter. Grandioser Ausblick! Die majestätischen Kordilleren schmiegen sich in Wolkenzuckerwatte. Dazwischen Wolkengeschwader, von weiß bis schwarz, in allen Nuancen dazwischen. Dramaturgie pur, die sich über den Himmel wälzt.

Großes Anden-Kino! Dass Mateo über Stock und Stein einhändig fährt, mit der anderen Hand telefoniert, keinen Helm für mich hat, stört mich nur, wenn ich ums Gleichgewicht ringe.

Erste Station in San Jerónimo: Einkauf von Baumaterialien für die Finca. Damit unsere Arbeiter weiterkommen mit Reparaturen und Umbauten des einstigen Hostels – Zukunft ungewiss. Regelmäßig bringen sie uns Bananen und Avocados aus ihren Gärten. Pünktlich um sieben Uhr früh legen sie los, singend und scherzend, handwerklich perfekt, enorm flott. Beim Materialnachschub kommen wir kaum hinterher. So fix schießen die Preußen hier – Campesinos Rapidones Antioqueños.

Das Bestellen geht ruckzuck. Aufwendiger war das „Bio-Sicherheits-Protokoll“ beim Betreten des Baugeschäfts: Aufschreiben der Ausweis- und Telefonnummer, Desinfektion, Fiebermessung. Komisch, immer unter 35 Grad. Obwohl Typus Schwitzer, eher nervös, bin ich temperaturtechnisch offensichtlich Kaltblüter und unterstresst.

Kommunikation bleibt ein Kopfschmerz in Corona-Zeiten. Die Campesinos in ihrem typischen Singsang klingen durch die Masken noch nuscheliger. Ich muss oft nachfragen. Sie auch bei mir mit meinem ungewohnten Akzent. Telefonieren im oberdrein verrauschenden WhatsApp Modus ist wie „Stille Post“.

Vorm Geschäft wartet im TucTuc bereits Uriel, Mateos Papa. Wir verladen Farbeimer, Bürsten, Nägel, Stangen, Säcke. Ein Fanfarensignal, Anruf. „Hijo de pucha“, entfährt es Uriel. Er muss von jetzt auf sofort einen weiteren Auftrag annehmen, will aber gleich zurücksein.

Gleich heißt hier eine Stunde, ein Tag … Wir laden alles wieder aus. Der Firnisbehälter ist schlecht verschlossen. Igitt, meine Finger verfärben sich dunkel und kleben.

Nach nur 15 Minuten kommt Uriel zurück. Hinter ihren Masken erkennt man die Menschen kaum. Meinen Chauffeur nur durch den aufgedruckten Kieferknochen mit Riesenzähnen auf dem „Maulkorb“. So nennen sie hier ihren Mundschutz.

Nächster Halt ist D1, der hiesige Aldi. „Ruf mich an, wenn du fertig bist“, sagt Uriel beim Absetzen und weg ist er. Kruzifünferl, mein Handy funktioniert doch nicht!

Ich bin der vierte in der Warteschlange. Nach 20 Minuten werden selbst die geduldigen Kolumbianer unruhig. Warum stehen wir uns weiterhin die Beine in den Leib? Wenn drinnen kaum mehr ein Kunde ist?

Die Sonne hat die Wolken weggebrannt. Ihre Strahlen schießen wie glühende Pfeile fast senkrecht von oben, bei sieben Grad nördlicher Breite und 800 Höhenmetern. Scheiß- äh Schweißtropen.

Endlich: Einlass. Meine Temperatur ist nur um 0,1 Grad gestiegen. Die Regale biegen sich, Kunden schwatzen entspannt. Beim Auschecken meckert die Kassenelektronik. Meine Spardagirokarte, auch die Visa-Schwester sind ihr nicht genehm. Sei auf der Hut, habe immer eine dritte parat! Die einheimische funktioniert.

Uff! Die Kassiererin und ich lächeln. Sie blickt mir aus fast pechschwarzen Pupillen tief in die Augen. „Wo bist du her?“ „Deutschland.“ „Mich entzückt dein Akzent“, ertönt‘s aus dem visierartigen Vollgesichtsschutz. Ich danke. So viel Charme erlebe ich im Münchner Aldi nie. Dort sind meine blauen Augen auch nicht so sehenswert.

Wie ein Packesel trete ich auf die Straße. Rucksack und über die Schultern gehängte Tragetaschen, alles proppevoll. So prollig geht man hier nicht durch die Öffentlichkeit. Sondern winkt sich ein Taxi-TucTuc und lässt sich herumkutschieren. Spätkoloniale Gutsherrenmentalität! Ich schwitze den Berg hoch, habe noch eine Liste dringender Erledigungen.

Mein Handy kriegt endlich ein Checkup. Ich staune, mal wieder. Die Dame vom Tele- Shop bedient gleichzeitig fünf andere, hat aber umgehend spitz: Wenn ich die kolumbianische Ländervorwahl entferne, klappen meine Anrufe. Verdammt, warum komme ich nicht selbst darauf?

Mir fehlt Improvisations- und Experimentiertalent für unser Dschungel-Camp-Leben. Wie so oft in den letzten Wochen trauere ich meinem geregelten Leben in München nach. Mittags Kiesertraining, danach in die Stabi, Weltpresse von vorne bis hinten, im Café eine saftige Mohnschnitte mit schaumigem Cappuccino, bis 23.45 Uhr auf der Bibliotheksempore, stets Platz 304 arbeiten, im Bierstübchen im Oly-Dorf noch ein Weizen zischen, sonntags rudern. Sehr – zu bequem?

Früher sind wir durch die Weltgeschichte getrampt, mit einem Seesack, darin Zelt und Schlafsack. Haben geschlafen, wo immer wir abends landeten, in Holland mitten im Autobahnkreuz, im Royal Park von Edinburgh. Ohne viel Überlegen jahrelang in die Amerikas ausgewandert. Heißa, was kost‘ die Welt! Typen wie mich heute nannten wir damals geringschätzig „bürgerlich“.

Mittlerweile stehe ich vor den beiden einzigen ATMs im Dorf. Einer kaputt, vorm anderen eine Schlange. Warten, schon wieder. Schließlich: 4 Abhebungen á 600.000 Pesos, in Scheinen á 50.000, 20.000, 10.000. Das ist viel Kohle hier. Immerhin: Sehr spendabel die Bank heute. Sonst rückt sie nur 600.000 raus, manchmal auch nix.

Nur: Wohin mit dem Papierberg? Ich stopfe ihn in die weiten Hosentaschen. Die zehnköpfige Schlange schaut neugierig zu – wer sonst noch? Samstagmittags (hier gibt’s noch die fünfeinhalb-Tage-Woche) zahlen wir unsere Arbeiter bar aus. Keiner hat ein Bankkonto. Soo umständlich … h-i-l-f-e.

Ein Anruf – funktioniert, welch Euphorie! Minuten später tuckelt mein treuer Uriel um die Ecke. Er und seine Familie kämpfen ums Überleben mit ihrem kleinen Fuhrpark.

Seit März Quarantäne. Kein Mensch fährt größere Distanzen.

Hey, wie gut geht’s uns Deutsche! An denen der Corona-Kelch vorbeiging – bisher. Ich mit verlässlichen Kontoeingängen am Monatsersten. Worüber reg ich mich auf?

Von meinen Euros profitiert auch unser Gärtner Isaias. Wir haben ihn von Halb- auf Vollzeit befördert, zum Generalmanager. 250 Euro monatlich, über die Hälfte eines Lehrergehalts. Mit Arbeitsvertrag inkl. Kranken- und Altersversicherung.

Fast königlich in einer Arbeitswelt mit 50 Prozent informell-prekär Beschäftigten, jetzt auch noch corona-rezessiv. Isaias‘ halbe Großfamilie ist mittlerweile auf unserer Baustelle beschäftigt.

Wir holpern im Dreirad-TucTuc den Feldweg hoch. Uriel telefoniert ständig. Der Regen spült die Schlaglöcher immer tiefer aus. Eigentlich wären wir im Sommer. Der ist hier ausgefallen. Globaler Klimawandel!

Mein armer vom vielen Sitzen, Lesen, Computern bandscheiben-lädierter Rücken! Schläge muss ich ausgleichen, nicht steif wie eine deutsche Eiche, sondern wie ein hiesiger Bambus, auf dem Sitz Salsa tanzen, aber auch nicht so mein Fall.

Noch gehen wir schwanger: Was machen wir mit unserem ehemaligen Hostel, mittlerweile in „La Tal Finca“ umbenannt? Bei allen Widrigkeiten: 1500 Gäste in den letzten acht Jahren und mehrere tausend Follower mögen unser Anwesen.

Sein Erwerb entstand aus einer Schnapsidee bei einer Hawaii-Reise: Bieten Kolumbiens Schönheiten nicht viel mehr als die Vulkaneilande? Unsere Besucher gaben uns recht, nahmen verstopfte Klos, Insektenstiche in Kauf. Gerade huscht eine fette Spinne über meinen Monitor.

Für den Post-Lockdown denken wir an ein Zentrum für internationale Sprachferien, Kulturaustausch, Psychohygiene. Aber, ganz im Ernst, sollten wir nicht ein Dschungel-

Camp ausschreiben? Nicht für TV-Promis, sondern Normalos?

Selbst unsere pingelige Tochter hat hier zehn Monate gelebt, überlebt, stressigen Hostelbetrieb zeitweise solo gestemmt, fürs Leben gelernt. Ihr heutiger Mann hat gelernt, dass ein kaputter Fahrradschlauch zehn Leben hat. Zum perfekten Abdichten lecker Leitungen taugt wie für fast schweißfeste Verbindungen.

Um die Ecke denken mit ein bisschen Humor richtet’s: die wichtigste Finca-Lektion.

PS: Wieder hatte ich so‘n komischen Traum. Dass meine Redaktion auf eine Waldlichtung verzogen war. Wir draußen unter Wellblechdächern arbeiteten, bei jedem Wind und Wetter. Im Postkörbchen fand ich statt meiner täglichen Zeitungslektüre eine Pudelmütze. Absurd? So starteten 1945 „Süddeutsche“ und „Spiegel“. Um Überleben zu lernen musste man nicht nach Kolumbien reisen.

Dieser Bericht erschien am 24. August 2020 in angstfrei.news unter 360° [→ angstfrei.news](https://www.angstselbsthilfe.de/angstfrei-news/montag-24-august-2020-8- uhr/)

[→ La Tal Finca](http://hostallafinca.com/en/28-2) Fotolegenden © Goede (von oben nach unten)

1 San Jerónimo, im Tal zwischen Medellín und Sta Fe de Antioquia, 15.000 Einw. (2018), starker Zuzug aus Medellín, 800 Höhenmeter, tropisches Klima um 30 Grad Celsius, an den Bergen rundherum gemäßigte 20 bis 25 Grad.
2 Auf der Plaza im Zentrum erwacht wieder das Leben – „genug Quarantäne“: Im September wollen Antioquia und viele andere Regionen Kolumbiens wieder öffnen.

3 Lange Warteschlangen für den Empfang der Corona-Wohlfahrts-Unterstützung. 4 Für die Wiedereröffnung nächste Woche wird alles blitzblank geschrubbt.
5 Keine langen Warteschlangen mehr vor D1, dem hiesigen Aldi.
6 Kein Dorf ohne Kirche – seit Jahren steht ihr Zeiger auf fünf Uhr.

7 Sotrauraba-Busse nach Medellín fahren bereits wieder – Ende von über fünf Monaten Zwangsurlaub: Der Fahrdienstleiter freut sich.
8 Wandgemälde: Die koloniale „Puente del Occidente“ über den Cauca-Fluss ist Lokalattraktion.

 

Zwei Tage vor dem Finale der Champions League

 

Un final de la Liga de Campeones vivido en Colombia 2012

 

Con la ocasión del final de la Liga de Campeones 2020 entre Paris Saint-Germain y el Bayern de Munich, en este domingo, 23 de agosto, miramos una vez atrás al final 2012.

En mi viaje por Colombia en 2012 estuve en Salento durante el final en el día 19 de mayo, un partido otravez con el Bayern de Munich y el Chelsea de Londres en el famoso “finale dahoam”.

El primer tiempo fue lento y determinado por táctica.

Al final se puso dramático y en los penales el Bayern perdió los nervios. Schweinsteiger si disparó y hubo lágrimas entre los avicionados.

 

© Texto y Fotos Frank Semper

Un mensaje optimista para un mundo en crisis

Dr. Frank Semper für DKF-Blog

14/08/2020

 

Juan Manuel Santos.

Un mensaje optimista para un mundo en crisis.

Prologo de Steven Pinker

Editorial Planeta, Bogotä 2020

Kindle E-Book €10,99

 

(K)Eine leichte Sommerlektüre

Immer wenn vom Ex-Präsidenten Älvaro Uribe die Rede ist, wie in diesen Tagen, als ihn das oberste kolumbianische Strafgericht, die Corte Suprema, wegen des dringenden Verdachts der Bestechung und des Prozessbetruges unter Hausarrest gestellt hat, stellt sich auch die Frage, womitsein Amtsnachfolger Juan Manuel Santos (JMS) augenblicklich beschäftigt ist.

Anders als Uribe, der nach wie vor kräftig in der Tagespolitik mitmischt, ist JMS nach Ende seinerPräsidentschaft in andere Sphären entschwebt. Der Friedensnobelpreisträger von 2016 spielt nunmehr, wie viele der handverlesenen Persönlichkeiten, denen diese herausragende Auszeichnungzuteil wurde, zumal wenn sie einmal Staats- und Regierungschef gewesen sind, wie Michael Gorbatschow, Nelson Mandela oder Barak Obama, in einer anderen Liga. Sie genießen durchweg große internationale Anerkennung, aber ihre außerordentliche Visionsgabe, die das Weltgeschehenals Ganzes in den Blick zu nehmen gewohnt ist, fördert auch die Neigung zur Abgehobenheit und macht sie in ihren jeweiligen Heimatländern umstritten und gelegentlich unbeliebt. JMS ist da keine Ausnahme.

In den meisten demokratisch verfassten Staaten haben sich augenscheinlichzwei ganzunterschiedlicheRegierungsstile entwickelt,dieaufkonträrenÜberzeugungen fußen und von ganzunterschiedlichenPolitikertypenverkörpert werden.JMSversteht es glänzend Politik zumoderieren und verschiedene Fachmeinungen in den Entscheidungsprozess einzubinden, darin derin diesem Metier beispielgebenden deutschen Kanzlerin nicht unähnlich, wohingegen der einemautoritärenRegierungsstil zuneigendeAlvaroUribenichtaufAusgleichsetzt, sondern seineGefolgschaft durch Polarisierungenund massiveAnfeindungen gegenüber dempolitischenGegneran sich zubindenversteht.

Derstudierte Ökonom und JournalistJMS hatnachdem Endeseiner langen und erfolgreichen politischen Karriere seinen neuen Platz im erlauchten Kreis derdistinguierten Wissenschaftler gefunden.Als Gastprofessoran der EliteuniversitätHarvard undMitglied imExekutivausschussderrenommierten Rockefeller-Stiftung wurdeer vonden Angehörigen der Ostküsten-Elite indenUSAalseinervon ihnenaufgenommen. Dort atmet er die vertrauteakademischeund weltpolitische Luft,dieerschon als Sohneines angesehenen ChefredakteursundHerausgebersvon Kolumbiens größterTageszeitung, El Tiempo,imElternhausaufdie ungezwungeneArt und Weise und mit der Selbstverständlichkeitin sich aufgenommen hatte, wie sie nur einem Angehörigenvon Bogotas Führungsschicht zueigen ist.

In seiner jetzt beim Editorial Planeta publizierten Schrift versucht er, die aktuelle Situation Kolumbiens aus der Sicht des Optimisten zu beschreiben und zu beurteilen. Er gibt sich alsglühender Verehrer des bekannten „Star-Denkers“ und Harvard-Kollegens Steven Pinker zuerkennen und bricht eine Lanze für dessen Weltsicht des Optimismus (gewonnen aus Evidenz). DerBestsellerautor Steven Pinker („Aufklärung Jetzt“) ist eine umstrittene Figur, den man durchaus alsPsychologen für Nicht-Psychologen bezeichnen darf Das muss kein Manko sein, auch andere prominente Wissenschaftler haben ihre weltweite Berühmtheit jenseits der Grenzen ihres Fachgebietes mit Publikationen für die breite Öffentlichkeit erworben, beispielsweise der HistorikerYuval Harari („Homo Deus“) oder der Ökonom Thomas Piketty („Das Kapital im 21.Jahrhundert“).

Wunderbar, könnte man meinen, wenn sich bei Pinker – und (ihm folgend) JMS – der Optimismus nun überschwänglich auf Kolumbien richtet!

Dabei geht es nicht um den Optimismus als entspannte Geisteshaltung zur Förderung des individuellen, familiären oder gar gesellschaftlichen Lebensglücks, sondern um seine Funktionalisierung als politisches Programm, wenn nicht politische Theorie zur allgemeinen Verbesserung der Welt und der Lebensbedingungen seiner Bewohner.

Pinkers Thesen passen in die Zeit. Schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten. Dieses Mantra hämmern uns die Börsen tagtäglich ein. Ob der Optimismus aber als allgemeine Richtschnur politischen Handelns zum Zweck der Verbesserung der Welt wirklich taugt, darf mit Fug und Rechtbezweifelt werden, schon eher beschleicht einen der Gedanke, dass in der Huldigung des Optimismus einmal mehr das Opium des Volkes am Werke ist, um das Wohl der (guten)Regierenden zu mehren.

Pinker, der das Vorwort zu JMS „Optimistischer Botschaft für eine Welt in der Krise“ beigesteuert hat, liest aus den Statistiken über den historischen Verlauf der letzten Jahrhunderte eine stete Entwicklung zum Positiven heraus. Alles habe sich verbessert, es gebe weniger Kriege, weniger Gewalt, weniger Armut, weniger Hunger, mehr Bildung, mehr Wohlstand, mehr Demokratie, und das weltweit und mehr oder weniger kontinuierlich.

Warum wollen dies die meisten Zeitgenossen bloß nicht wahrhaben, sondern insistieren auf die vielen Missstände in der Welt? Dazu liefert Pinker eine schlichte wie reflexartige Erklärung. Schuldseien die Medien, die die Wahrnehmung der Welt bestimmten und verzerrten, die „von raren Ereignissen wie Kriegen, Epidemien oder Katastrophen berichten, nicht vom Alltag, also von Frieden, Gesundheit und Sicherheit. Diese Neigung zum Negativen verstärke sich noch, weil die Journalisten um Klicks kämpfen und als Moralprediger ihr Publikum aus seiner Selbstzufriedenheitreissen wollen.“

(Zitat aus der NZZ vom 02.02.2019 – Hier geht es zum Link)

Die These, dass die Welt immer besser werde, versuchen Pinker, bezogen auf die Welt und JMS, bezogen auf Kolumbien, mit einer Vielzahl an statistischen Daten zu belegen. Dabei sind nicht die Daten das Problem, sondern ihre vorgenommene Bewertung und die angelegten Vergleichsmaßstäbe.

Ein Beispiel. Kolumbien gehört nach Ansicht der Vereinten Nationen im lateinamerikanischen Kontext zu den Ländern mit dem höchsten Grad an Ungleichverteilung in punkto Einkommen und Vermögen, abzulesen am sog. GINI-Koeffizienten. Hierbei wird die Einkommensverteilung entlangeiner Strecke zwischen 0 und 1 dargestellt, wobei die höhere Zahl ein höheres Maß an Ungleichheitbeschreibt. Der Koeffizient sei in den 1990er und Nullerjahren gleichbleibend hoch gewesen und erst zwischen 2010-2018 in signifikanter Weise von 0.563 auf 0.517 gefallen. Damit habe sich Kolumbien vom letzten Platz (gemeinsam mit Haiti) auf eine gute Position im Mittelfeld des Länderrankings vorarbeiten können. Das stelle, laut Expertensicht, so JMS, auf diesem Niveau einegewaltige Verbesserung da. Stimmt die Aussage, ist das eine Vermutung oder gesicherte Erkenntnis und welche Erklärung hat er dafür? Schließlich deckt sich der angegebene Zeitraum mitdem Mandat seiner Präsidentschaft. Wir erfahren es leider nicht.

Zustimmen wird man JMS mit der positiven Beurteilung der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung hinsichtlich der makroökonomischen Faktoren wie der Entfaltung von Unternehmensgeist oder bei der Bewertung der kolumbianischen Geldpolitik mit einer noch immerweitgehend unabhängigen Notenbank (Banco de la Repüblica), geringer Staatsverschuldung und moderater Inflation. Auch eine funktionierende Gewaltenteilung mit intakten Institutionen gehört zuden großen Pluspunkten Kolumbiens im lateinamerikanischen Vergleich, ohne dass man zu dieserFeststellung auf den Optimismus rekurrieren müsste. Schade allerdings, dass diese positivenBefunde einer breiten Öffentlichkeit kaum bekannt sind.

Wenig bis gar nichts erfährt man aber zur anhaltenden desolaten Menschenrechtsproblematik (den erschreckend hohen Zahlen ermordeter sozialer Aktivisten seit dem Friedensschluss), die Rolle derArmeeführung bei der Rekrutierung und anschließenden Ermordung junger Männer aus den Armenvierteln von Bogotä, sog. falsos positivoss, sowie zur gegenwärtigen und zukünftigen Rolleder afrokolumbianischen Gemeinschaften und indigenen Völker. Ihnen allen wünschte man ein wenig mehr von dem ansonsten geradezu verschwenderisch verteilten Optimismus.

JMS ist während seiner Präsidentschaft in Kolumbien vieles gelungen, das zuvor kaum möglich schien und sein positives Denken wird ihn in seinen Überzeugungen bestärkt haben, einen Friedensvertrag mit der bis dahin ältesten und kampfstärksten Guerilla des Kontinentes abzuschließen, eine außerordentliche Willensleistung, die viele seiner Vorgänger nicht aufbringen wollten oder konnten, wodurch er dem Land das Tor zum 21. Jahrhundert geöffnet hat. Der nun vorliegende Interviewband präsentiert die aktuelle Faktenlage in Kolumbien übersichtlichund eingängig formuliert, dennoch weiss JMS mit seinen Ausführungen nur bedingt zu überzeugenund bereitet mit seiner Überdosis an Optimismus all denen, die sich ernste Gedanken um die Zukunft des Landes machen, anhaltende Kopfschmerzen.

 

Beethoven für Rapper und Breakdancer in Medellín

Blog-Autor Wolfgang Goede, zur Zeit in San Jeronimo (bei Medellín) , schrieb uns diese Mail:

„… aus München flog mir dieses 3Sat Video über das Beethoven Jubiläum zu =>

https://www.3sat.de/kultur/kulturdoku/diesen-kuss-der-ganzen-welt-102.html

Sehr beeindruckend, der Rapper Andrés Felipe Gonzalez aus Medellín, der zusammen
mit seinen Freunden zu Beethoven Breakdance veranstaltet:
Medellín, Welthauptstadt der Innovation — auch in der Interpretation der Weltmusikklassiker!“

Auf eine Tasse Café con Leche

Corona-Update

San Jerónimo. Colombia 30. Juli 2020

Wolfgang Chr. Goede

 

Auf eine Tasse Café con Leche

Mit Anneli Seifert (AS) und Luisa Friederici (LF) über Herausforderungen für Medellíns Alexander von Humboldt Kulturinstitut in Corona-Zeiten.

Der Mauerfall. Diese weltpolitische Zäsur brachte das Alexander von Humboldt Kulturinstitut in Medellín hervor. Bis 1994 hatte das Goethe Institut die Stadt mit Sprach- und Kulturangeboten versorgt. DiesesDoppelpaket erfreute sich großer Popularität in der Hauptstadt der „Paisas“. Mit dem Ende des KaltenKrieges mussten Goethe Institut und Auswärtiges Amt ihr Budget auf mehr Länder verteilen. Das GoetheInstitut Medellín wurde Opfer des Rotstiftes. Dies war die Stunde von Anneli Seifert, bisher Goethe-Deutschlehrerin und in Medellín aufgewachsene Tochter deutscher Einwanderer. Mit einer Handvollmutiger Kollegzinnen hob sie „Humboldt“ aus der Taufe. Jetzt ringt die Leitung mit einer neuen Zäsur: derCorona-Krise und ihren Verwerfungen. DKF Mitglied Wolfgang Chr. Goede lud zum Interview via Zoom. Wie geht’s dem Goethe-Nachfolger? Wie manövriert er durch Corona? Und welche unerwartetenGlücksfälle dabei helfen?

DKF: Glückwunsch zu Eurer frisch aufgesetzten Webseite. Eine optisch-informative Fiesta an Information: Kurse, Weiterbildung in Deutschland, Kulturevents — einedeutsche Insel inklusive gutbestückter Bibliothek inmitten der Vier-Millionen-MetropoleMedellín. Der Webseite ist zu entnehmen, dass Ihr umgezogen seid?

AS: Ja, im Januar. Einen Block weiter, weiterhin im Stadtteil Calasanz, bequem in Reichweite der Metrostation Floresta. Nach bereits mehreren Umzügen in den letzten25 Jahren haben wir Anfang des Jahres 2020 unseren Traum realisiert: größere undhellere Räume.

DKF: Kaum neueröffnet, funkte im März Corona COVID-19 dazwischen.

AS: Das war ein herber Schlag. Aber wie vielen anderen Sprachinstituten, Schulen, Universitäten in Medellín gelang es uns, innerhalb weniger Tage vom analogenPräsenz-Modus auf den digitalen online Modus umzuschalten. Dank Luisa, unserer akademischen Direktorin.

LF: Fünf Jahre lang habe ich mich im digitalen Sprachunterricht fortgebildet, unter anderem als zweimalige Goethe-Stipendiatin. Diese Erfahrungen kamen uns beimvirtuellen Neustart sehr zupass.

DKF: Respekt Manch etablierte und erheblich besser ausgestattete Bildungseinrichtung in Deutschland könnte von Euerm digitalen Schwung lernen. Aber erst einmal zu den Gründerjahren. Eine Institutsgründung ist kein Klacks. Was warendie Herausforderungen, Anneli?

AS: Mit einem Eigenanteil von je einer halben Million Pesos kauften die Gründer das Mobiliar und einige pädagogische Materialien des Goethe Instituts. Das war damalskein Pappenstiel, reichte aber auch nicht für große Sprünge. Bei der Namensfindung taten wir uns schwer. Wir überlegten hin und her, zwischen Schiller und Leibniz,einigten uns dann auf den in Kolumbien wegen seiner Forschungsreisen so beliebtenAlexander von Humboldt. Kein anderer Deutscher ist hier populärer und steht mehrfürs Deutschsein als er.

DKF: Auf Eurer Webseite seid ihr mit dem Goethe Institut und DAAD verlinkt. Wie hab Ihr das geschafft?

AS: Unser Zuspruch bei der Bevölkerung war so groß, dass wir nach einigen Jahren eine Botschaftsförderung erhielten. Daraufhin erfolgte die Registrierung beim GoetheInstitut. Mit der Einrichtung in Bogotá arbeiten wir seither eng zusammen und nehmenan Schulungen teil. Das ist ein Riesenvorteil, bei eigener institutionellerUnabhängigkeit. Seit sieben Jahren sind wir nunmehr auch anerkanntesPrüfungszentrum für die Goethe Prüfungen Al bis B2, Abschlüsse und Zertifikate in deutscher Sprache.

DKF: Und wie funktioniert das mit der Kulturarbeit?

LF: Über Goethe erhielten wir im letzten Jahr rund 13.000 Euro aus dem auswärtigen Kulturbudget für die Pflege und Verbreitung deutscher Sprache und Kultur hier in Medellín. Das erscheint auf ersten Blick viel, besonders für Kolumbien. Aber wenn man Reisekosten und Honorare für die Kulturschaffenden und Künstler abzieht, bleibt davon nicht so viel übrig.

DKF: Was sind Eure Kultur-Highlights?

AS und LF: Die Kolumbientour der Münchner Band Jamaram, bekannt für Reggae,Funk, Latin und Blues, war vor drei Jahren ein großer Erfolg. Der Theatersaal der EAFIT Universität hier in Medellín proppevoll. Ebenso wie die „Catedral Metropolitana de Medellín“ beim Orgelkonzert von Christian Schmitt. Der über 50 Meter hohe und größte Lehmziegelbau der Welt beherbergt die berühmte Walter-Orgel, für 350.000 Euro Spende aus Deutschland saniert. Sie erklang wieder unter dem kunstvollen Spiel des Organisten.

DKF: Beide Veranstaltungen habe ich miterlebt. Der überwältigende Zuspruch von Jung und Alt war für mich persönlich ein frischer Zugang zu deutscher Kultur und ihrer Vielfalt Auch mit einem Gefühl des Stolzes, den man in Deutschland so nicht empfindet Woran erinnert Ihr Euch sonst noch gerne?

AS: Der Komponist und Stummfilmpianist Stephan von Bothmer war schon viermal hier. Die Schriftsteller Paul Maar und Uwe Timm haben aus ihren Werken gelesen. Auch Sprachkritiker und Bestsellerautor Bastian Sick („Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“) hat uns die Ehre gegeben.

LF: Ein besonders geschätzter Service muss erwähnt werden. Während in Deutschland solche Veranstaltungen zum Teil hohe Eintrittsgelder verlangen, sind sie hier für alle gratis.

DKF: Sind das einmalige Events oder gibt’s darüber hinaus auch eine kontinuierlichere Zusammenarbeit in bilateraler Kulturpflege?

LF: Wir arbeiten an einer größeren Nachhaltigkeit der Beziehungen. Etwa dass die Künstler an den Unis Workshops veranstalten. Zwischen dem Stadtteil Moravia, der auf einer Abfallhalde entstand, und Stadtplanern in Berlin gibt’s ein gemeinsames Projekt. Das wird auch vom Goethe Institut Bogotá finanziell unterstützt.

DKF: Statt Einbahnstraße von Deutschland nach Kolumbien wird es künftig mehr wechselseitigen Austausch geben?

AS: Idealerweise ja, aber Kultur und Kunst werden hier in Kolumbien staatlich kaum gefördert, sodass die Anstöße von hier nach drüben entsprechend schwach sind.

DKF: Manchmal nimmt die gegenseitige Kulturförderung wundersame eigene Wege. Botero mit seinen dicken Menschen war viele Jahre lang ein No-Name. Mit einer Ausstellung im Münchner Lenbachhaus erlebte er seinen künstlerischen Durchbruch. Aus Dankbarkeit posiert er seither auf vielen Fotos im bayerischen Trachtenjanker.

LF: Paisas (Bewohner des Departements Antioquia) und Bayern haben eines gemeinsam, das selbstbewusste „mir san mir“. Vielen Kolumbianer*innen aber fehlt es ein wenig an Stolz über ihre Kultur, Traditionen, Lebensweisen. Ihr Selbstwertgefühl sollten wir mittels moderner Pädagogik stärken. Sprachunterricht bietet dafür viele Möglichkeiten.

AS: Stolz etwa auf leckere Arepas (Maisfladen). Garantiert glutenfrei. Hilfe und Rettung für unzählige Allergiker dieser Welt.

DKF: Deutschland umwirbt auch Kolumbianer, um seinen Pflegekräftenotstand von 50.000 unbesetzten Stellen auszugleichen. Thema für Euch?

LF: Ein großes. Zehn Angeworbene haben unsere Deutschkurse bereits durchlaufen, das B2 Zertifikat erworben und sind mittlerweile in deutschen Krankenhäusern tätig. Das Vermitteln der Sprache ist Ochsenarbeit für uns alle. Der Stoff von drei Jahrenmuss in sechs Monaten vermittelt werden. Das bedeutet Fulltime für beide Seiten, einen ganzen Arbeitstag lang lehren und lernen.

DKF: Wie reagiert Deutschland auf die Kolumbianerinnen?

LF: Unsere Absolventen freuen sich, dass sie so herzlich in den deutschen Kliniken aufgenommen worden sind. Sprachlich kommen sie gut mit. Überrascht sind sie, wie schnell man sich bei der Arbeit duzt. Gruppen von jeweils zwölf, dreizehn und neun Krankenpflegekräften sind derzeit bei uns noch im Unterricht und Sprachtraining.

DKF: Was sind die Vertrags- und Arbeitsbedingungen?

LF: Ein inklusives Rundumpaket, bei dem alles bezahlt wird. Sprachkurs, für dessen Dauer das Gehalt weitergezahlt wird, Reisekosten. In Deutschland verpflichten sich die Ausreisenden für zwei Jahre. Ihr Arbeitsvertrag ist aber unbefristet, sodass sie praktisch für immer bleiben können.

DKF: Viele Latinos in Deutschland plagt großes Heimweh.

DV-Magazin Nr. 97 Juni 2020 – Absolvent*innen der ersten Gruppe von Pflegekräften am AvH mit ihren Goethe-Zertifikaten (Fotorechte: Luisa Friederici)

AS: Die Bewerberinnen motiviert die bessere Bezahlung mit der Möglichkeit, davon ihre Familien unterstützen zu können. Die Aussicht, an neuen Technologienfortgebildet zu werden, erleichtert weiterhin den Entschluss.

 

DKF: Erlaubt bitte eine Frage zu Euch persönlich. Wie lebt’s sich als Grenzgänger zwischen den Kulturen?

 

AS: Hier in Kolumbien muss man immer dreimal nachfragen, ob etwas erledigt ist. Das ist aufwendig. Gleichzeitig herrscht viel Toleranz, wie café con leche, mit mal mehr, mal weniger Kaffee oder Milch. Grundsätzlich haben beide Kulturen die gleiche Wiege und lassen sich gut verkoppeln.

LF: Wir Deutsche genießen in Kolumbien einen guten Ruf. Das ist ein Privileg und erleichtert das Leben. Hier wird weniger gemeckert als in Deutschland, auch weniger beurteilt und verurteilt. Die Menschen drüben sind verkopfter und weniger spontan. Während wir hier mehr Gestaltungsmöglichkeiten besitzen. Als ich vor zehn Jahren nach Medellín kam, wurde ich in der Metro noch angestarrt und die Leute raunten: „Mona, Mona“ (Blonde, Hellhäutige). Das passiert heute nicht mehr. Medellín ist viel internationaler geworden, die Hautfarben vermischen sich mehr. Wenngleich deren Tonalität weiterhin eine Rolle spielt.

DKF: Wie blickt Ihr in die virtuelle Zukunft?

AS: Kulturarbeit via Bildschirm wird schwer, finde ich. Gestern habe ich mir ein virtuelles Konzert angesehen. Die Künstler in drei Meter Abstand und mit Mundschutz. Kein Riesengenuss. Infolge der Pandemie haben wir zwar viele unserer Schülerinnen verloren. Aber nicht zuletzt mit der Pflegepersonalschulung konnten wir viele Verluste auffangen. Und wir haben gelernt, dass Videokonferenzen viel einfacher, billiger und umweltfreundlicher sind, als etwa nach Bogotá zum Goethe Institut zu düsen.

LF: Im Online Modus können wir weit über die Grenzen der Stadt hinaus unterrichten. 70 Prozent des Landes haben mittlerweile Internet. Ein Riesenmarkt für unseren Unterrichtsbetrieb.

DKF: In Kolumbien gibt’s noch keine Corona-Entwarnung. Im Gegenteil: gerade wurde die Quarantäne wegen steigender Infektionskurven erneut verlängert bis Ende August. Was sind Eure Prognosen?

LF: Während mittlerweile vier Monaten Quarantäne habe ich viermal meine Wohneinheit verlassen. Wenn man durch Medellín fährt, sieht man viele rote Tücher von Hilfebedürftigen. Die Not ist groß. Gleichzeitig haben wir alle in dieser Zeit erlebt,wie wenig wir an materiellen Dingen brauchen. Das Wichtigste sind Gesundheit und Familie.

AS: Uns in Kolumbien fällt Verzicht leichter als in den Ländern des Nordens. Zum Bewältigen der Krise werden die Familien noch enger zusammenrücken.

DKF: Ein Schlusswort, bitte?

AS und LF: Wir danken all unseren Lernenden und Lehrenden, die mit uns durch diese schwierige Zeit gehen. Wie wir sehen, stecken in der Krise auch Chancen. Wo sich Türen schließen, öffnen sich viele neue.

Links:

Alexander von Humboldt Kulturinstitut Medellín Webseite:https://avhmedellin.co/

Deutsch von Null auf B2 in sechs Monaten — geht das? IDV Magazin Nr. 97, Juni 2020, S. 49ff. Ko-Autorin Luisa Friederici, AvH Akademische Direktorin https://idvnetz.org/wp-content/uploads/2020/06/1DV-Maqazin-JUNI-2020.pdf