Daniel Schmutte lebt mit Unterbrechungen seit 2008 in Medellín. Er hat hier einen Teil seines BWL Studiums absolviert und ist dann gleich praktischerweise geblieben, um die erworbenen Kenntnisse an Ort und Stelle umzusetzen. Im Stadtteil Laureles, dem angesagten Ausgehviertel der Stadt, betreibt er ein Café und Bistro mit dem Namen „Zeppelin“. Auf der Terrasse draußen, im Innenhof oder im schattig-kühlen Inneren kann man es sich gut gehen lassen, mit erlesenen internationalen Bieren, einem richtig guten Cappuccino, leckeren Snacks und Gerichten.
Richtig deutsch ist in diesem Lokal eigentlich gar nichts, außer die unzähligen „fliegenden Zigarren“, deren Bildnisse an den Wänden hängen und deren Gerippe im Raume schweben. Ach ja, auch ein Einstein nickt einem freundlich entgegen, rundherum viele Bücher, alte Möbel – „retro“, was in Medellín beliebt ist, inklusive vom Putz entblößte Wände. Die roten Ziegel strahlen Wärme und Geborgenheit aus. Ein populärer Treff, um am Computer zu arbeiten, zu chillen – auch der DAAD hatte hier seinen Stammtisch.
Mitte März kam für Daniel wie für viele andere Expats aus Deutschland die Stunde der Wahrheit. Mit dem Voranrücken der Corona-Front, Einfall in Kolumbien mit ersten Infektionen, Horrormeldungen aus dem Rest der Welt handelte die Stadt blitzschnell und schloss alle Kneipen, auch Daniels. Binnen weniger Tage wurde die derzeit noch anhaltende Quarantäne verhängt, über mehrere Wochen hinweg mit einem totalen Lockdown. Bleiben oder Nicht-Bleiben, das war auch für den 34-Jährigen die Frage, mit einem ganz engen Zeitfenster, wenn er auf einen der drei Rückholflüge der Bunderegierung hätte kommen wollen.
„Ich habe Verständnis für alle Heimkehrer“, sagt Daniel, „erwarteten wir doch alle Unruhen im Lande, die bisher glücklicherweise nicht eingetreten sind“. Er hat hier investiert, seine berufliche Zukunft aufgebaut, einen großen Freundeskreis – da geht man nicht so ohne Weiteres, außerdem fühlt er sich verantwortlich für seine 15 Angestellten. Dennoch, die plötzliche Vollbremsung, der Wegfall der Einnahmen, bei weiterlaufenden Betriebskosten und regelmäßigen Mahnungen des Finanzamtes, seine Steuern zu zahlen: Das schien die Quadratur des Kreises und stürzte auch den Zeppelin-Wirt in schwere Existenzängste, wie so Viele in diesen Tagen.
Eine treue Kundin und Kolumbienliebhaberin brachte ihn auf den Überlebens-Trichter. Die US-Amerikanerin wollte den sogenannten „Stimulus Scheck“, den Präsident Trump ihr und allen Landsleuten schickte, um mit ca. 1000 US$ die Corona-Krise abzufedern, sozial nützlich anlegen. So ward die Idee geboren, damit Mittagessen für Medellíns Bedürftige zu finanzieren, mit einem Triple-Win-Faktor: gutes Gewissen für die Spenderin, Weiterexistenz vom Zeppelin sowie fortlaufendes Grundgehalt für seine Angestellten, vor allem: Hilfe für Medellíns Bedürftige und Obdachlosen, die an der Kanalisation leben.
Von dieser Spende sowie weiteren, die daraufhin auch zu tröpfeln und fließen begannen, wurden bisher weit über 2000 Essen ausgeteilt. Mittlerweile gehen auch Zuwendungen aus Daniels deutschem Freundes- und Familienkreis ein. Gerade am Muttertags-Wochenende wurden davon 3000 Brote in Bello und Santo Domingo verteilt. Dort sind Medellíns Ärmste u.a. in Hochhäusern untergebracht. „Du klopfst an einer Tür und daraus quellen über zehn Menschen hervor, seit Wochen auf 50 Quadratmetern zusammengepfercht“, berichtet Daniel vom Wochenende. Das sei noch mal ein anderer Anblick und Dimension von Quarantäne – Realität vieler Medellínenser.
Im Vergleich damit ist die Kanalisation, die streckenweise einem Campingplatz gleicht, ein Hort der Freiheit. Gleichwohl die hier Lebenden während der anhaltenden Quarantänezeit abends von den Behörden eingesammelt und in zentrale Lager gebracht werden. Vorher reichen Daniel und seine Mitarbeiter eine warme Mahlzeit, verteilt an bittende Hände und sehr höflich dankende Menschen in schwierigen Umständen: „Que dios se lo pague!“ Pro Person ein Becher mit einem halben Liter Suppe, jeden Tag frisch zubereitet in der Zeppelin-Küche, obendrauf mit einem guten Stück Fleisch, mit wöchentlich fünf verschiedenen Angeboten, von Linsen, über Bohnen bis zum Medellín-/Antioquia/Campesino-typischen Sancocho (mit Yucca/Maniok). Pro Tag 160 Suppen.
In der zweiten Maiwoche 2020 wurde die DKF Spende unter die Kanalisationsbewohner gebracht. Unten die Fotos, die wie immer mehr sagen als 1000 Worte. Weitere Einzelheiten zur Zeppelin-Kampagne, Spender sowie Verteilung der Geldmittel finden sich transparent auf der Café-Zeppelin Facebook-Seite. Daniel und Zeppelin-Mitarbeiter danken auch dem DKF und hoffen bis Juni überleben zu können, um dann mit ein paar Tischen auf sicherem Abstand wiedereröffnen zu können. Weitere Spenden sind willkommen!
https://www.facebook.com/cafezeppelin
Zum Originaldokument des Autors, Wolfgang Goede, Medellín