Liebestirade gegen einen sitzenden Mann

    
    Beitragsautor:

    Wolfgang Chr. Goede, DKF-Mitglied
    Wissenschaftsjournalist München / Medellín 

    Für den Blog, im Mai 2024
  
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     vertreten ihre persönlichen Ansichten.

     Alle Fotos (c) Wolfgang Chr. Goede

 

Liebestirade gegen einen sitzenden Mann

Das gleichnamige Theaterstück von Gabriel Garcia Marquez erlebte im April 2024 seine deutsche Uraufführung. Die Bühne dafür gab das beschauliche “Unser Theater”, untergebracht in einem jahrhundertealten Bauernhof in Schwabhausen bei Landsberg im dörflich-familiären Ambiente. Der 90-minütige Einakter wurde aufwendig im sprachlichen Doppel, dem spanischen Original und einer deutschen Übersetzung inszeniert. Er ist der Monolog einer Frau von der Karibikküste namens Graciela anläßlich ihrer Silberhochzeit. Darin bringt sie zum Ausdruck ihre verzweifelte Frustration über die Liebe, was in einer einzigen Anklage gegen ihren untreuen Gatten gipfelt, der unbeteiligt und Zeitung lesend in einem mit der Rückenlehne dem Publikum zugewandten, gleichwohl imaginär-unbesetzten Sessel sitzt.

Zielscheibe der Tirade, der Gatte im leeren Lehnstuhl

Tote Liebe

Das Stück wurde inszeniert von dem kolumbianischen, seit langem in Deutschland lebenden, sich besonders für Interkulturalität einsetzenden Theaterpädagogen Otto Novoa. Anlass ist ein Doppeljubiläum. Vor 30 Jahren hatte das Stück Premiere in Bogotá und vor 10 Jahren war sein mit so vielen Ehrungen gefeierter Autor und Nobelpreisträger gestorben. Im weiteren Verlauf des Jahres kommt das Stück auch in Wien und Barcelona ins Theater.

Meisterlich intoniert “Gabo” gleich mit dem ersten Satz die Grundmelodie: “Nichts ist der Hölle so ähnlich wie eine glückliche Ehe.” Das variiert er sodann in immer neuen Tiraden, Ausfällen, Schmähungen der Akteurin, gespielt im spanischen Monolog von Arianna Vogelsang, aus Baranquilla stammend und in Spanien lebend, sowie in der deutschen Fassung von Barbara Maria Messner aus München, von der auch die herausfordernde Übersetzung stammt.

So entrollen sich 25 Jahre des Liebesunheils, einer in der Darstellung Gracielas unerwiderten und toten Liebe, vermischt mit der Trauer über ihre eigene verblühende Schönheit. Am Ende dreht sie ihr Leben ein Vierteljahrhundert zurück, schleudert Geschmeide, Schmuck und Perlen in die Toilette und kehrt in die Armut zurück, der sie dereinst mit der Heirat den Rücken kehrte. Doch zuvor entzündet sie die Zeitung, die sie von ihrem Gatten trennt, und äschert selbigen mit ein, nachdem sie das ganze Stück hindurch ihre unabdingbare Liebe zu ihm beteuert hat.

High Society Kritik

Das Drama ist ein deftiges Stück Gesellschafts- wie auch Liebeskritik. Die Arroganz der reichen Kolumbianer, dekadent in der eigenen Blase, die übrigen Bevölkerungsschichten im blinden Fleck; einer gebürtig Armen, die sich in diese Kaste “hinaufheiratet” und dafür brutal abgestraft wird. Gewürzt ist dieser Zwiespalt mit dem Macho-Gehabe der maskulinen Bevölkerung, die sich durch alle Betten schläft, sowie romantischen Liebesträumen der femininen Bevölkerung, die von ihren Traumprinzen erwartet, auf Händen getragen zu werden. Liebe – Mission Impossible?

Die Akteure (von links): Otto Novoa, Regisseur; Arianna Vogelsang, Schauspielerin; Shangó Dely, musikalische Begleitung; (es fehlt Barbara Maria Messner, Übersetzung und Darstellerin des deutschen Parts)

Der Erschaffer des Stücks hat sich fast in seinem gesamten Lebenswerk an der Liebe abgearbeitet, bis über seinen Tod hinaus. Gerade im März erst erschien posthum seine Novelle “Wir sehen uns im August”, vom Vater unauthorisiert von seinen Söhnen herausgegeben. “Gabo” wollte keine Veröffentlichung, weil seine Prosa seinem Urteil nach bereits zu sehr die Spuren seiner Demenz trug. Literaturkritiker haben darin tatsächlich eine einfachere Sprache, weniger detaillierte Beschreibungen, einen weniger raffinierten Plot entdeckt. Auch in diesem Spätwerk, das im Frühjahr kurzzeitig die Bestsellerliste erklomm, räsoniert der Maestro über die unendliche Geschichte, die Liebe.

Auch er selbst, kein Säulenheiliger, laborierte ja damit. Ein langes Leben lang mit seiner Mercedes verheiratet, wurde nach seinem Tode eine uneheliche Tochter bekannt. Liebe und Treue, überall auf der Welt in allen Zeiten hochumstritten, sind in der Karibik ein ganz spezielles Kapitel, wovon auch das Bühnenwerk des Kolumbianers zeugt. Es soll dokumentarischen Charakter besitzen, weil der Schriftsteller selbst einmal Ohrenzeuge einer solchen Tirade geworden war, so ist überliefert.

Marquesk-Kafkaesk

Unten ein paar besonders markante Textpassagen, die die von Garcia Marquez immer wieder umschriebene Absurdität unterfüttern, war sein schreiberisches Vorbild doch Kafka (dessen 100. Geburtstag die Kulturwelt derzeit gedenkt). Die Absurdität des Kafka-Schlosses, übertragen in die kolumbianische Karibik, aufgehängt an der Liebe, durchdrungen von indigenem Spuk, synthetisiert zu einer Krone des magischen Realismus – so könnte das Resümee aus dieser ungewöhnlichen Garcia-Marquez Theater-Premiere in der bayerisch-schwäbischen Provinz lauten.

Das Theaterplakat vor “Unser Theater” in Schwabhausen

Zitate und Bonmots (aus dem Spanischen frei übersetzt vom Rezensenten)

In dem Haus, wo das Paar lebte, wollte kein Mensch wohnen, auch nicht gratis, weil einst ein Mann darin seine Frau zerstückelt hatte und sich aus den Eingeweiden einen Eintopf gekocht und verspeist hatte. Amalia, im Nachbarhaus, spielte dazu auf ihrem Saxofon, immer wieder „I just called to say I love you.”

Zur Mitternachtsstunde erklang das Brodeln der Eingeweide im Topfe. Sie (Graciela) hatte kein Problem damit, hätte sich sogar gewünscht, aus Liebe verspeist zu werden, „wie ein glückliches Huhn“.

Graciela über den Gatten: Sie war seine Ersatzmama, die ihm die die Nägel schnitt, die Socken für die Nacht aufwärmte, das im Suff Ausgekotzte wegmachte – und wenn er nach einer Liebesnacht mit einer Minderjährigen um fünf Uhr früh heimkehrte, erklärte er, entführt worden zu sein.

„Hast du jemals mich geliebt, jemals jemand anderen, außer aus eigener Eitelkeit?“

„Deine Passivität, ist die nicht die schlimmste Form der Despotie? Nichts beantworten, einfach weiterleben in der Blase des Glücklichseins.“

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm: „Der Sohn läuft mit der Zahnbürste durch die Welt, weil er nie wusste, bei welcher Frau er morgens aufwachen würde. Man wusste gar nicht, wo die Totenwache zu halten war, wenn er mal starb.“

„An der Cornell Universität hat er (der Sohn) die Metaphysik von Kopfkissen (und Frauenbettwäsche) studiert und graduierte in und mit Geschlechtskrankheiten.“

„Dass jemand eine Liebhaberin hässlicher als die eigene Frau haben konnte!“

Die Schwiegermutter war ganz besonders speziell, „mit traumhaften Wimpern, die besser fächeln konnten als jeder Fächer“.

Schwiegermamas Rat für stressfreien Umgang mit Männern und ihrem Sohn: „Nein meine Liebe, verpeste nicht dein Blut, zähle bis 77 und alles richtet sich von alleine.“

Der Schwiegervater hatte Mäuse dressiert und für eine Zirkusnummer abgerichtet, bei der sie wie Bischöfe und Generäle gekleidet am Tische saßen und mit Messer und Gabel aßen. Bis sie starben und keine Schlangenmedizin dagegen half.

Über den im Sterben liegenden Schwiegerpapa: „Der Mann war ein Fantasma, haarlos, mit Riesenaugen, zahnlos, gelb, hustend, aber im Besitz von so viel Autorität, dass ein einziges Wort mich vernichtet hätte.“

„Es war so ruhig im Hause (der Schwiegereltern), dass alles zum Stillstand kam, das Meer, die Zeit, die Welt, die Atemluft.“

Karibik-Ambiente: „Gerüche frittierten Fisches vermischten sich mit orgasmischen Liebesschreien aus den geöffneten Türen der Hütten in der Mittagszeit.“

Philosophisch: „Das Glück des Vergessens ist das einzige, wofür man nicht zahlt.“

Links zu den Darstellern, dem Theater, dem Text-Original (zum Nachlesen)

arianna.vogelsang

www.barbara-maria-messner.de

www.shangodely.com

www.unsertheater.de

http://smjegupr.net/wp-content/uploads/2012/07/Diatriba-de-amor-contra-un-hombre-sentado.pdf

 

Abendliche Premierefeier im Hof des Theaters