Fernando Botero (1932-2023) – Medellíns Rubens

    
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    Wolfgang Chr. Goede, DKF-Mitglied
    Wissenschaftsjournalist München / Medellín 

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Fernando Boteros Tod am 15. September 2023 in Monaco um neun Uhr in der Frühe war „Breaking News“, in Kolumbien, Lateinamerika, der Kunstwelt. Der am 19. April 1932 in Medellín Geborene hinterlässt Weltkulturgut: materiell in vielstelligem Millionenwert, ideell als eigenwillige Perspektive auf die Welt. Seine Skulpturen und Bilder leben von überdimensioniert fülligen Wesen – aber nicht „Dicken“, gar Fetten, wie der Maestro und seine Anhänger sofort interveniert hätten. Das Verformt-Geformte, bei sämtlichen Werken auf ersten Blick die typische Botero-ID, ist in die Kunsthistorie eingegangen als „Boterismo“. 

Heureka-Moment

Botero stammte aus bescheidenen Verhältnissen, war das zweite von drei Kindern aus der Ehe des früh verstorbenen Pferdehändlers David Botero und der Schneiderin Flora Angulo. Sein Onkel wollte ihn zum Torero ausbilden lassen, doch der Junge fand mehr Gefallen am Zeichnen von Stieren, auch nackter Frauenkörper, womit er sich in seiner Jesuitenschule unbeliebt machte. Als er sich in einem Beitrag im Lokalblatt als künstlerisch-weltanschaulicher Nonkonformist outete, flog er von der Lehranstalt.

Formieren, De-formieren, Re-formieren blieb fortan die künstlerische Passion des aus den Formen und Schranken der Konvention ausgebrochenen Freigeistes. 1952 begab sich Botero auf eine Bildungsreise, die ihn nach Madrid, Paris, Florenz führte zum Studium der alten Meister. Eine weitere Station des Autodidakten in seiner Reifung war Mexiko City. Dort soll er 1956 seinen künstlerischen „Heureka“-Moment erlebt haben. Ihm misslang eine Mandoline, die sich als unförmig wulstig, gedrungen erwies.

Dieses Aufblasen übertrug er fortan auf alle Gegenstände seiner Kunst. Volumen wurde für 67 Jahre sein künstlerischer Fußabdruck, der sich auch als künstlerische Antipode zum geometrischen Kubismus von Anfang des Jahrhunderts interpretieren ließe.

Durchbruch in New York

Medellíns Tageszeitung El Colombiano rühmte den prominentesten Sohn der Stadt in ihrem Nachruf als Weltausnahmekünstler. So wie Garcia Marquez mit Buchstaben und Worten hätte der Maler und Skulptor mit Pinsel und Farben, seinen Händen, Lehm und Ton ein neues Bild der Welt modelliert, welches die rein physisch-realistische in eine surreale transformierte. Der magische Realismus des Kariben fand eine Erweiterung in den Kurven, Überdimensionen, Verfremdungen seines Künstlerkollegen aus dem Bergland, dem Paisa Botero.

Er war einer von seiner Kunst Besessener, rastlos, der bereits verheiratet und mit Kindern in den 1960ern mit 200 Dollar in der Tasche nach New York ging, um in der globalen Kunstszene sein Glück zu suchen. Lange vergebens. Er galt als post-expressionistisch, außerhalb des zeitgenössischen Kunstgeistes.

Aber den Tüchtigen ist Fortuna hold, jedenfalls manchmal, und so erschien eines Tages die Direktorin des „Museum of Modern Art“ in Boteros Atelier, als er gerade seine „Mona Lisa, mit zwölf Jahren“ fertigstellte. Die ungewöhnliche Darstellung des klassischen Motivs elektrisierte sie und so feierte Botero seine erste große Vernissage in dem berühmtesten Kunsttempel des Big Apple und alle Galeristen von Ruf und Namen wurden auf den bislang unbekannten Kolumbianer aufmerksam – der fulminante Auftakt zu seinem Welterfolg.

4,3-Millionen-Pedrito

Kunst gilt als irrational, logisch wenig greifbar. Insofern müßig, aber dennoch eine spannende Spekulation, ob seine ersten Anhänger und Anbeter sich durch Boteros üppige Kurven nicht auch an den Flamen Peter Paul Rubens erinnert gefühlt hätten, nur dass der Paisa-Künstler die Körperlichkeit ebenso erfindungsreich wie kompromisslos auf seinen gesamten Kunstkosmos übertrug? Und auch die Nebenfrage sei gestattet, ob Botero heute, wo viele Menschen infolge massiv zunehmenden Übergewichts seinen Figuren immer ähnlicher werden, noch so großer Erfolg beschieden gewesen wäre wie damals in einer noch schlanken Welt.

Der Künstler hinterlässt 3000 Bilder und 300 Skulpturen, von denen er Hunderte an Museen und Plätze in seiner Heimat stiftete, die dort auch ein Zeichen des Friedens und der Versöhnung setzen. Sein bekanntestes Werk, „Mann zu Pferd“, wurde zu 4,3 Millionen US Dollar versteigert. Es ist seinem vierjährigen Sohn Pedrito gewidmet, der 1974 bei einem Autounfall der Familie starb. Der Meister selbst verlor dabei einen Finger. Aus der Trauer rettete er sich mit Flucht in Arbeit.

Boteros Sohn Fernando war unter Präsident Samper (1994 – 1998) Verteidigungsminister, mit Aussichten auf das Präsidentenamt. Eine Schmiergeldaffäre brachte seine Polit-Karriere zu Fall und ihn drei Jahre lang ins Gefängnis.

Frauenschwarm

Botero galt als Frauenschwarm „und hatte viele Lieben“, wie seine Tochter Lina dem Wochenmagazin Semana anvertraute. Er war zweimal verheiratet und lebte 48 Jahre lang –nicht in ehelicher, wie gemeinhin zu lesen, sondern in einer offenen Beziehung mit der griechischen Künstlerin Sophia Vari. Ihre Liebe zur Kunst verschmolz sie zu einer Seele, schreibt das Blatt. Sophia war erst im Mai an einem Krebsleiden verstorben. Der Vater selbst, berichtete Lina, litt in seinen letzten Jahren an einer schüttelfreien Parkinson-Variante. In seinem Atelier in Pietrasanta, Toskana, saß der 91-Jährige stundenlang vor der Leinwand und malte, bis zuletzt. 

Boteros eigenwillige Kunst machte vor ihm selbst nicht halt. Auf einigen seiner Bilder taucht er mit „botereskem“ Vollmondgesicht auf. Sein persönliches Markenzeichen indes war: seine kreisrunde dunkle Brille und seine Vorliebe für bayerische Trachtenjacken. Die rührte von Ausstellungen in München her. Seine Heimat Antioquien und Bayern sind sich in Vielem ähnlich, den ländlichen Bräuchen und nicht nur in der Vorliebe zu Schweinernem.

Zum Abschied wurde Boteros Leichnam nach Kolumbien geflogen. Im Kapitol in Bogotá und in Medellíns Museum von Antioquien nahmen seine Landsleute Abschied von ihm. In seiner Heimatstadt wurde er eingeäschert und nach Europa zurücküberführt. Auf dem Friedhof von Pietrasanta findet er neben Sophia Vari seine letzte Ruhe. Des Maestros kurvige Skulpturen an vielen öffentlichen Plätzen der Welt bleiben sichtbare Wahrzeichen seiner avantgardistischen Kunst und Gruß seines Heimatlandes.

Fotos: Abschied von Botero in Medellín. Seine Kunstwerke „Mrs. Rubens No. 4“ (1968), „Paar“ (1999), „Ex-Voto“ (1970) sind voluminös, alltäglich, kritisch, satirisch, mit Einschlägen zum magischen Realismus. Modisch bevorzugte der Maestro bayerische Trachtenjacken.

 

Fernando Botero (1932-2023) – El Rubens de Medellín

Por Wolfgang Chr. Goede

La muerte de Fernando Botero el 15 de septiembre de 2023 en Mónaco a las nueve de la mañana fue una „noticia de última hora“ en Colombia, en América Latina, en el mundo del arte. Nacido en Medellín el 19 de abril de 1932, deja tras de sí un patrimonio cultural mundial: materialmente millonario, idealmente como perspectiva idiosincrásica del mundo. Sus esculturas y pinturas viven de seres sobredimensionados y regordetes -pero no „gorditos“, ni siquiera gordas, como habrían intervenido inmediatamente el maestro y sus seguidores. Lo deforme-formado, la identificación típica de Botero en todas sus obras a primera vista, ha pasado a la historia del arte como „Boterismo“.

Momento Eureka

Botero era el segundo de los tres hijos del matrimonio de David Botero, un comerciante de caballos que murió muy joven, y Flora Angulo, costurera. Su tío quería formarle como torero, pero el chico estaba más interesado en dibujar toros, incluidos cuerpos de mujeres desnudas, lo que le hizo impopular en su colegio jesuita. Cuando se reveló como inconformista artístico-ideológico en un artículo del periódico local, fue expulsado del colegio.

A partir de entonces, formar, des-formar, re-formar siguió siendo la pasión artística del espíritu libre que había roto las formas y las barreras de lo convencional. En 1952, Botero emprendió un viaje educativo que le llevó a Madrid, París y Florencia para estudiar a los maestros antiguos. Otra estación de maduración del autodidacta fue Ciudad de México. Se dice que fue allí donde experimentó su momento artístico „eureka“ en 1956. Le falló una mandolina, que resultó ser abombada y achaparrada.

A partir de entonces, trasladó esta inflación a todos los objetos de su arte. El volumen se convirtió en su huella artística durante 67 años, lo que también podría interpretarse como una antípoda del cubismo geométrico de principios de siglo.

Gran avance en Nueva York

El diario El Colombiano de Medellín elogió en su obituario al hijo más destacado de la ciudad como un artista de talla mundial. Como García Márquez con las letras y las palabras, el pintor y escultor habría creado una nueva imagen del mundo con pinceles y colores, sus manos, arcilla y barro, transformando lo puramente físico-realista en surrealista. El realismo mágico del hombre del Caribe encontró una prolongación en las curvas, las sobredimensiones, las alienaciones de su colega montañés, el paisa Botero.

Era un hombre obsesionado con su arte, inquieto, que, ya casado y con hijos, se marchó a Nueva York en los años sesenta con 200 dólares en el bolsillo para buscar fortuna en la escena artística mundial. Durante mucho tiempo en vano. Se le consideraba postexpresionista, fuera del espíritu del arte contemporáneo.

Pero la fortuna favorece a los valientes, al menos a veces, y así un día la directora del „Museo de Arte Moderno“ apareció en el estudio de Botero justo cuando estaba terminando su „Mona Lisa, de doce años“. La insólita representación del motivo clásico la electrizó, y así Botero celebró su primera gran vernissage en el templo del arte más famoso de la Gran Manzana y todos los galeristas de renombre se fijaron en el hasta entonces desconocido colombiano: el preludio de su éxito mundial.

4,3 millones Pedrito

El arte se considera irracional, lógicamente intangible. En este sentido, es ocioso, pero no deja de ser una especulación apasionante, preguntarse si a sus primeros seguidores y admiradores no les habrían recordado también al flamenco Peter Paul Rubens las voluptuosas curvas de Botero, sólo que el artista paisa trasladó la fisicidad a todo su cosmos artístico con la misma inventiva y sin concesiones. Y también cabe preguntarse si Botero habría tenido tanto éxito hoy, cuando muchas personas se parecen cada vez más a sus figuras como consecuencia del aumento masivo de la obesidad, como lo tuvo entonces en un mundo todavía delgado.

El artista dejó tras de sí 3.000 pinturas y 300 esculturas, cientos de las cuales donó a museos y plazas de su patria, donde también pusieron un signo de paz. Su obra más famosa, „Hombre a caballo“, se vendió en una subasta por 4,3 millones de dólares. Está dedicada a su hijo Pedrito, de cuatro años, que murió en un accidente de coche familiar en 1974. El propio maestro perdió un dedo en el accidente. Se salvó de la pena huyendo al trabajo.

El hijo de Botero, Fernando, fue Ministro de Defensa del Presidente Samper (1994 – 1998), con perspectivas de llegar a la presidencia. Un asunto de sobornos puso fin a su carrera política y le envió a prisión durante tres años.

Hombre de señoras

Botero era considerado un galán „y tuvo muchos amores“, según confió su hija Lina al semanario Semana. Se casó dos veces y vivió 48 años -no en una relación matrimonial, como se dice comúnmente, sino en una relación abierta con la artista griega Sophia Vari-. Su amor por el arte los fundió en una sola alma, escribe el periódico. Sophia sólo había muerto en mayo de cáncer. El propio padre, según Lina, sufrió en sus últimos años una variante no temblorosa del Parkinson. En su estudio de Pietrasanta, en la Toscana, hasta el final el hombre de 91 años se sentaba durante horas delante del lienzo y pintaba. 

El arte de Botero no se detenía por si misma. En algunos de sus cuadros aparece con una „boteresca“ cara de luna llena. Su marca personal, sin embargo, eran sus gafas oscuras circulares y su preferencia por las chaquetas tradicionales bávaras. Esto se debe a sus exposiciones artisticas en Múnich. Su tierra natal, Antioquia, y Baviera se parecen en muchos aspectos, las costumbres rurales y no sólo en la preferencia por la carne de cerdo.

Como despedida, el cuerpo fue trasladado en avión a Colombia. En el Capitolio de Bogotá y en el Museo de Antioquia de Medellín, sus compatriotas despidieron a Botero. Fue incinerado en su ciudad natal y repatriado a Europa. En el cementerio de Pietrasanta encuentra su eterno descanso junto a Sophia Vari. Las curvilíneas esculturas del maestro en numerosos lugares públicos de todo el mundo siguen siendo hitos visibles de su arte vanguardista y saludos de su patria.

Fotos: Despedida de Botero en Medellín. Sus obras „Sra. Rubens nº 4“ (1968), „Pareja“ (1999), „Ex-Voto“ (1970) son voluminosas, cotidianas, críticas, satíricas, con toques de realismo mágico. En cuanto a la moda, el maestro prefería las chaquetas tradicionales bávaras.

 

 

Die Märchenfee

    
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    Wolfgang Chr. Goede, DKF-Mitglied
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Benedikta zur Nieden ist die vermutlich bedeutendste Stifterin und Philanthropin Lateinamerikas. Das Leben der in Herscheid, Nordrhein-Westfalen, Geborenen war wie ein Märchen, eine Achterbahnfahrt mit Höhen, Stürzen, Steilkurven – fast eine Telenovela. In und um Medellín hinterließ sie eine breite Spur von reformatorisch-pädagogischen, sozialen und kulturellen Einrichtungen. Sie begründete unter anderem die Deutsche Schule in Medellín. Zu ihrem 25. Todestag erwies die mit dem „Exzellenz“-Prädikat ausgezeichnete Auslandsschule ihrer Stifterin Hommage. Posthum rollte sie der ebenso avantgardistischen wie gemeinsinnigen Deutsch-Kolumbianerin einen roten Teppich aus.

Eine Begegnung auf einem Ball in Berlin im Jahre 1932 traf die damals 22-Jährige wie ein Blitz. Dort lernte die Fotografie- und Kunststudentin den Sohn einer der wohlhabendsten Industriellenfamilien Kolumbiens, Diego Echavarría Misas, kennen. Er war 15 Jahre älter, hatte in Bad Godesberg das Gymnasium besucht und war in Europa ein großer Verehrer klassischer Musik und Kultur geworden. Der Schicksalsabend in Berlin entzündete beide in leidenschaftlicher Liebe füreinander und sollte ihre Leben tiefgreifend verändern. Als sich Benedikta 1934 mit Diego nach Kolumbien einschiffte, erntete sie Kopfschütteln. Warum wollte jemand in einem so weit entfernten, für viele geheimnisumwitterten Lande leben, in dem manche sogar noch Wilde wähnten?

DAS SCHLOSS

Don Diego trug seine Benedikta auf Händen. Sie lebten in Medellíns Nachbarort Itagüí in paradiesischer Natur auf einer weitläufigen Finca. Jene wurde auf den Namen „Ditaires“ getauft. „Dita“ war der Kosename von Benedikta und „Aires“ stand für die lieblichen Winde, die das Anwesen umwehten. Ditas Märchenprinz gab für seine große Liebe alles. Er erwarb 1942 für das Paar in Poblado, damals Vorort von Medellín, ein Schloss, das der Mediziner José Tobón Uribe in den 1930ern nach einem Vorbild an der Loire hatte erbauen lassen.

In dieser neuen Residenz, über ein Dutzend Säle groß, geschmückt mit kostbaren Möbeln und Lüstern, Porzellan und Kunstwerken der europäischen Hochkultur sowie einer kostbaren Bibliothek mit Originalwerken der Geistesgeschichte, lebte Dita wie eine Prinzessin. Und das Glück schien perfekt, als den Echavarría-Zur Niedens 1947 der lang ersehnte Nachwuchs geboren wurde, Isolda.

Bei aller Liebe, Luxus und Familienglück schien sich Doña Dita, wie sie alle nannten, in ihrer neuen Heimat nicht so richtig wohl zu fühlen. Weggefährtinnen berichten, dass ihr seit dem Tag ihrer Ankunft die extremen sozialen Unterschiede Kolumbiens zu schaffen machten. Luxuriöseste Mansionen neben dürftigsten Hütten und barfüßigen Menschen, die Hunger litten. Das motivierte die junge Deutsche zu umfangreicher Stiftungsarbeit und philanthropischen Engagements, welche sie mit dem Vermögen ihres Mannes finanzierte.

WALDORF-PÄDAGOGIK

Von Spitälern bis Altersheimen, über Kindergärten und Kunstschulen, bis zu allgemeinbildenden Lehreinrichtungen sowie Musikakademien reichte ihr unermüdliches Schaffen. Dabei ließ sie sich von einem tief verwurzelten humanitären Geist und Gerechtigkeitssinn leiten. Was Staat und Gesellschaft nicht leisteten, den sozialen Ausgleich zwischen Privilegierten und Bedürftigen, das machte Benedikta wett mit einem wahren Feuerwerk von Neugründungen pädagogischer und sozialer Art rund um die Hauptstadt des Departements Antioquia (siehe Liste unten).

Sie war Stifterin und Reformerin, in den 1940er Jahren Anstifterin zu einem Stück Sozialstaat, wie er sich in der jungen Bundesrepublik erst ein Jahrzehnt später herausbildete, inmitten des noch tief in feudalistischen und patriarchalischen Strukturen steckenden Kolumbiens. Dabei ließ sie sich von der Waldorf– und Steiner-Pädagogik leiten, die sie auf ihrem eigenen Bildungsweg kennen und schätzen gelernt hatte.

Spielerisches und lustvolles Lernen statt Nürnberger Trichter, militärischer Disziplin und Kadettenanstalt, damals auf beiden Seiten des Atlantiks der erzieherische Standard – Selbstbestimmung statt Gehorsam, Bildung in Freiheit, für Freiheit: Das waren ihre Maximen. Von diesem Bildungsideal war sie fast „besessen“, wie ein Mitglied der Echavarría-Familie über sie zu erzählen wusste.

MENSCHENFREUNDIN

Das alles waren in Benediktas Zeit einsame Pionierprojekte. Noch ungewöhnlicher, dass dahinter eine Frau stand, im bis heute betont konservativen Ambiente Antioquiens. Dita in ihrem Schloss war nicht nur eine Prinzessin, sondern auch eine gute Fee, in dieser Rolle eine eher zurückhaltende, aber wahre Menschenfreundin (so wie Philanthropie aus der griechischen Philosophie überliefert und definiert ist) – über sämtliche soziale Klassen und Schranken hinweg.

So betrachtet, ließe sich Benedikta zur Nieden auch in eine Reihe mit Alexander von Humboldt stellen, der anderthalb Jahrhunderte zuvor in Kolumbien forscherisch in der Tradition der Aufklärung gewirkt hatte und einen bis heute markanten Fußabdruck hinterlassen hat. In der Auffassung von einer Ganzheitlichkeit von Mensch und Natur, dem Gleichtakt und einer Balance von Körper, Geist und Seele waren die beiden Deutschen einander wahrscheinlich sehr nahe, Geschwister im Geiste.

Nur wissen wir über Benedikta leider viel zu wenig, wie sie aufgewachsen war, was sie in Deutschland geprägt hatte, warum Reformpädagogik ihr so viel bedeutete und ihre Kontakte dazu, die Tisch- und Kamingespräche des Paares, wie es seine Projekte plante. Diese biografischen Lücken brachte auch der für den Festakt gedrehte Film zum Ausdruck, ebenso wie prominente Zeitzeugen bei einem Panel im Schloss das große Nichtwissen bedauerten. Hier wäre noch viel Raum für Recherche über die Ausnahmedeutsche in Kolumbien, seit 1948 auch dortige Staatsbürgerin.

SCHICKSALSSCHLÄGE

Doch Ditas Märchenglück drehte sich. 1967 verlor das Ehepaar seine über alles geliebte Isoldita, der das große Herz ihrer Mutter nachgesagt wird. Sie erkrankte an einer seltenen Infektion und verstarb 20-jährig. Vier Jahre später wurde der Ehemann in der Schlosseinfahrt entführt und nach seiner Weigerung, das Lösegeld zu zahlen, ermordet. Das Wahrzeichen Medellíns, das Coltejer Gebäude, 37 Stockwerke hoch, erinnert bis heute an Diego Echaverría, u.a. Begründer eines Textilimperiums. Der Bau ist konisch, einer Nähnadel nachempfunden, und weist in der Spitze sogar eine Öse auf.

Die erlittenen Schicksalsschläge konnten die Witwe nicht bremsen, im Gegenteil, diese beflügelten eher ihr soziales Engagement, so, als ob sie durch Spenden und Stiften leichter über ihre Trauer und die Tode von Tochter und Ehemann hinweggekommen wäre. Sie spendete das gesamte Vermögen und stiftete ihr Schloss als Museum der Stadt Medellín. In Itagüí vermachte sie der Deutschen Schule ein großes Areal unweit von Ditaires (heute ein öffentlicher Wasser-Park).

So konnte die Lehreinrichtung 1972 von ihrem viel zu kleinen Gelände umziehen und es entstand auf fast acht Hektar – 80.000 Quadratmetern – eine der schönsten deutschen Auslandsschulen, wie eine Finca mit vielen kleinen Klassenräumen verteilt über das Terrain und weit über 1000 Schülerinnen und Schülern. Die Schule ist begehrt, weil die Abiturienten mit dem hier erworbenen Abschluss berechtigt sind, an sämtlichen Hochschulen der Welt zu studieren.

ILLUSTRE TOCHTER

Die großzügige Förderin und Mäzenatin zog sich in eine Wohnung in Medellín zurück, wickelte akkurat den gesamten Familienbesitz ab und kehrte 1990 in ihre alte Heimat zurück. Dort lebte sie von einer deutschen Rente, wohnte in einem im Waldorfgeiste geführten Altersheim, wo sie 88-jährig verstarb. Was ihr blieb, war der Titel „Hija Ilustre de Antioquia“ – Illustre Tochter Antioquiens.

Der Schlussakt eines Märchens. Fast so, als ob Dita aus einem goldenen Käfig in ihre vertraute Welt zurückgefunden hätte.

Der Benedikta-Gedächtnis-Event der Deutschen Schule Medellín am letzten Augustwochenende 2023 ging über zwei Tage. Der Freitagabend war einem großen Konzert gewidmet im Auditorium der Schule, das im Rufe steht, mit seiner Top-Akustik einer der besten Konzertsäle Kolumbiens zu sein. Das 80-köpfige Iberacademy Orchester unter Leitung von Dirigent Roberto Gonzáles-Monjas spielte, zum Anlass passend, Dvoraks „Aus der Neuen Welt“, wobei der erst 17-jährige Violinist Tomás Restrepo mit Geigen-Soli brillierte. Musik wird in der Schule besonders kultiviert und gefördert, nicht zuletzt auch als Tribut an ihre Stifter und Don Diegos Passion für die Klassik.

LEITFIGUR

Am Samstag hatte die Schule auf den ehemaligen Familiensitz, ins Schloss geladen, beginnend mit einer Führung, gefolgt von einem Podium, gekrönt durch ein abschließendes Klavierkonzert der renommierten Pianistin Blanca Uribe (der, aus einfachen Verhältnissen stammend und von klein auf ein vielversprechendes Talent, Diego Echavarría zehn Jahre lang ein Stipendium in den USA und Wien finanziert hatte).

Aus den vielen Erinnerungen, Kommentaren, Reflexionen über Benedicta zur Nieden und ihr Vermächtnis abschließend nur drei Zitate von diesem Podium:

Juan Carlos Vélez, ehemaliger Schüler, Jurist, Ex-Senator: „Mit ihrem Vermögen hätte sich Dita in Deutschland ein Schloss kaufen können, aber sie gab alles an die Menschen zurück, und deshalb bleibt sie unvergessen.“

Maria Isabel Estrada de Molina, Echavarría-Großnichte: “Beide, Dita und Diego, waren erfüllt von der Mission, zu dienen.“

Anke Käding, Moderatorin, Veranstalterin, Schulleiterin: „Benedicta zur Nieden ist für uns alle ein Beispiel, sich nicht an sein Geld und Materielles zu klammern, sondern es für Sinnvolles und Bildung einzusetzen, und damit ist sie eine große Leitfigur für alle Schülerinnen und Schüler der Deutschen Schule Medellín.“

 

Projekte und Gründungen (unvollständig) von Benedicta zur Nieden und Diego Echavarría

1941: Kindergarten „Rotario“, Itagüí

1944: Öffentliche Bibliothek, Itagüí

1947: Mütterklinik „Antonio de Prado“

1952: Kunstschule, Itagüí

1956: Altersheim

1968: Deutsche Schule „Colegio Alemán“, Poblado (seit 1972 in Itagüí)

1972: Symphonie-Orchester Antioquia und „Musik-Akademie für junge Talente

1982: Musik-Institut Diego Echavarría

1982: Triangulo-Colegio (Schule), Rionegro

1985: Isolda Echavarría Colegio (Schule), Estrella

1988: Humanistisches Zentrum Micael/Waldorf-Pädagogik

1989: Pädagogik-Zeitschrift (wissenschaftlich, publiziert bis 2010)

 

Quellen

 

Doku anlässlich des 25. Todestages, produziert von Ana Escobar Velásquez, Schülerin der Deutschen Schule >>

https://youtu.be/L0Frah0hwu4

Aufzeichnung des Podium-Gesprächs >>

https://youtu.be/yoYKHxXtN3w?si=BWxF22gmzxB_4tTp

 

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Heroina en un cuento de hadas

Por Wolfgang Chr. Goede

 

Benedikta zur Nieden es probablemente la filántropa más importante de América Latina. Nacida en Herscheid, Renania del Norte-Westfalia, su vida fue como un cuento de hadas, una montaña rusa con subidas, bajadas y curvas pronunciadas – casi una telenovela. En Medellín y sus alrededores dejó un amplio rastro de instituciones reformatorio-pedagógicas, sociales y culturales. Entre otras, fundó el Colegio Alemán de Medellín. En el 25 aniversario de su muerte, el colegio en el extranjero, que recibió la distinción „Excelencia“, rindió homenaje a su fundadora. A título póstumo, desplegó una alfombra roja para la germano-colombiana, tan vanguardista como pública con espíritu civico.

Un encuentro en un baile en Berlín en 1932 cayó como un rayo sobre la joven de 22 años. Allí, la estudiante de fotografía y arte conoció a Diego Echavarría Misas, hijo de una de las familias industriales más ricas de Colombia. Echavarría era 15 años mayor que élla, había estudiado en un colegio de Bad Godesberg y se había convertido en un gran admirador de la música clásica y la cultura europea. La fatídica velada de Berlín encendió en ambos un amor apasionado que cambiaría profundamente sus vidas. Cuando Benedikta se embarcó hacia Colombia con Diego en 1934, se ganó sacudidas de cabeza. ¿Por qué alguien querría vivir en un país tan lejano, envuelto en el misterio para muchos, donde algunos incluso pensaban que aún vivían salvajes?

PEDAGOGÍA WALDORF

Desde hospitales hasta residencias de ancianos, desde jardines de infancia y escuelas de arte hasta instituciones de educación general y academias de música, su labor fue incansable. La guiaba un espíritu humanitario y un sentido de la justicia profundamente arraigados. Lo que el Estado y la sociedad no lograron, el equilibrio social entre privilegiados y necesitados, Benedicta lo compensó con un verdadero fuego artificial de nuevas fundaciones educativas y sociales alrededor de la capital del departamento de Antioquia (ver lista más abajo).

Filántropa y reformadora, instauró en los años 40 un Estado social como el que no surgió en la joven República Federal de Alemania hasta una década después, en medio de una Colombia aún profundamente arraigada en estructuras feudalistas y patriarcales. Se guiaba por la pedagogía Waldorf y Steiner, que había conocido y apreciado en su propia trayectoria educativa.

Aprendizaje lúdico y alegre en lugar del embudo de Nuremberg, disciplina militar y escuela de cadetes, que eran la norma educativa a ambos lados del Atlántico en aquella época -autodeterminación en lugar de obediencia, educación en libertad, para la libertad: estas eran sus máximas. Estaba casi „obsesionada“ con este ideal educativo, como supo contar de ella un miembro de la familia Echavarría.

FILÁNTROPA

Todos estos eran proyectos pioneros y solitarios en la época de Benedikta. Era aún más insólito que una mujer estuviera detrás de ellos, en el ambiente aún enfáticamente conservador de Antioquia. Dita en su castillo no sólo era una princesa, sino también un hada madrina, en este papel un poco reservado pero verdadero filántropa (como la filantropía se transmite y se define desde la filosofía griega) – a través de todas las clases sociales y barreras.

Desde este punto de vista, Benedikta zur Nieden también podría situarse en la misma línea que Alexander von Humboldt, que había trabajado en Colombia un siglo y medio antes como explorador e iluminador y que ha dejado una huella inconfundible hasta nuestros días. Los dos alemanes eran probablemente muy cercanos, hermanos de espíritu, en su concepto de la totalidad del hombre y la naturaleza, la sincronía y el equilibrio del cuerpo, la mente y el alma.

Por desgracia, sabemos muy poco de Benedikta, de cómo creció, de lo que la había formado en Alemania, de por qué la educación reformista significaba tanto para ella, de las charlas de sobremesa y junto a la chimenea de la pareja, de cómo planificaban sus proyectos. Estas lagunas biográficas también quedaron plasmadas en la película rodada para la ceremonia, del mismo modo que destacados testigos contemporáneos lamentaron la gran falta de conocimientos en un panel celebrado en el castillo. Aún queda mucho por investigar sobre esa excepcional alemána en Colombia, que además era ciudadana del país desde 1948.

GOLPES DEL DESTINO

Pero la suerte de Dita se torció. En 1967, la pareja perdió a su querida Isoldita, de quien se decía que tenía el gran corazón de su madre. Contrajo una rara infección y murió a los 20 años. Cuatro años después, el marido fue secuestrado en la entrada del castillo y asesinado tras negarse a pagar el rescate. El edificio más emblemático de Medellín, el Coltejer, de 37 pisos, sigue conmemorando a Diego Echaverría, fundador de un imperio textil, entre otras cosas. El edificio es cónico, con forma de aguja de coser, e incluso tiene un ojal en la parte superior.

Los golpes del destino que sufrió no pudieron frenar a la viuda; al contrario, más bien espolearon su compromiso social, como si hubiera superado más fácilmente su dolor y las muertes de su hija y su marido mediante donaciones y dotaciones. Donó toda su fortuna y cedió su castillo como museo a la ciudad de Medellín. En Itagüí, legó al Colegio Alemán un amplio terreno no lejos de Ditaires (hoy parque público acuático).

Así, en 1972, la institución docente pudo mudarse de su sitio demasiado pequeño y se creó uno de los colegios alemanes más hermosos del extranjero en casi ocho hectáreas -80.000 metros cuadrados-, como una finca con muchas aulas pequeñas repartidas por el terreno y más de 1.000 alumnos. La escuela es codiciada porque los graduados del Abitur tienen derecho a estudiar en universidades en cualquier parte del mundo.

HIJA ILUSTRE

La generosa mecenas y patrocinadora se retiró a un piso en Medellín, liquidó meticulosamente todas las propiedades familiares y regresó a su antigua patria en 1990. Allí vivió de una pensión alemana, residió en una residencia de ancianos regentada con el espíritu Waldorf, donde murió a los 88 años. Lo que quedó de ella fue el título de „Hija Ilustre de Antioquia“.

El acto final de un cuento de hadas. Casi como si Dita hubiera encontrado el camino de vuelta desde una jaula de oro a su mundo familiar.

El evento en memoria de Benedikta del Colegio Alemán de Medellín el último fin de semana de agosto de 2023 se prolongó durante dos días. La noche del viernes se dedicó a un gran concierto en el auditorio del colegio, que tiene fama de ser una de las mejores salas de conciertos de Colombia por su acústica de primera. La Orquesta Iberacademy, compuesta por 80 miembros y dirigida por Roberto Gonzáles-Monjas, interpretó „Desde el Nuevo Mundo“ de Dvorak, muy apropiada para la ocasión, en la que el violinista Tomás Restrepo, de sólo 17 años, brilló con sus solos de violín. La música se cultiva y fomenta especialmente en la escuela, entre otras cosas como homenaje a sus benefactores y a la pasión de Don Diego por la música clásica.

FIGURA LÍDER

El sábado, la escuela había invitado a la antigua sede familiar, al castillo, comenzando con una visita guiada, seguida de un podio, coronado por un concierto de piano final a cargo de la renombrada pianista Blanca Uribe (a quien, de origen humilde y talento prometedor desde temprana edad, Diego Echavarría había financiado durante diez años una beca en EE.UU. y Viena).

De los muchos recuerdos, comentarios, reflexiones sobre Benedicta zur Nieden y su legado, sólo tres citas de este podio para concluir:

Juan Carlos Vélez, antiguo alumno, abogado, ex senador: „Con su fortuna, Dita podría haberse comprado un castillo en Alemania, pero lo devolvió todo al pueblo, y por eso sigue siendo inolvidable.“

María Isabel Estrada de Molina, sobrina nieta de Echavarría: „Tanto Dita como Diego estaban llenos de la misión de servir.“

Anke Käding, moderadora, organizadora, directora: „Benedicta zur Nieden es un ejemplo para todos nosotros de no aferrarse al propio dinero, sino de utilizarlo para algo significativo y educación, y por eso es una gran figura orientadora para todos los alumnos del Colegio Alemán de Medellín.“

 

Proyectos y Fundaciones (incompleto) de Benedicta zur Nieden y Diego Echavarría

1941: Jardín Infantil „Rotario“, Itagüí

1944: Biblioteca pública, Itagüí

1947: Clínica de Maternidad „Antonio de Prado

1952: Escuela de arte, Itagüí

1956: Hogar de ancianos

1968: Colegio Alemán, Poblado (desde 1972 en Itagüí)

1972: Orquesta Sinfónica de Antioquia y „Academia de Música para Jóvenes Talentos

1982: Instituto de Música Diego Echavarría

1982: Colegio Triángulo, Rionegro

1985: Colegio Isolda Echavarría, Estrella

1988: Centro Humanista Micael/Pedagogía Waldorf

1989: Revista pedagógica (científica, publicada hasta 2010)

 

Fuentes

Documental con motivo del 25 aniversario de su muerte, realizado por Ana Escobar Velásquez, alumna del Colegio Alemán >>

 

Grabación de la mesa redonda >>